Wer gießt deine Blumen, wenn du gehst?

(Eigene Rückübersetzung meines Texts aus dem Englischen)

Auf der Zugfahrt mit der Bahn zu einer unheimlich interessanten Konferenz gab es plötzlich einen lauten Schlag und der ICE machte eine Notbremsung. Zunächst waren die Wenigen, die im Zug saßen, still. Dann unterbrachen ein paar Gespräche, Telefonate, Mutmaßungen die Stille. Und schließlich kam die Durchsage. Ein Baum war auf die Oberleitungen gekracht. Gedankenversunken saß ich im Abteil. Ein lautes Gewitter war draußen nun sehen. Da war der Regen, der an den Fenstern hinabrann, dichtes, klares Wasser floss an der Fensterscheibe herab. Der Natur tat der Regen gut, so sah ich es von meiner Fensterposition. Erleichtert lehnte ich mich zurück. Der Knall, es war kein Tier und auch kein Mensch gewesen. Ich stand auf. “Wissen Sie, was passiert ist?“ – “Nein.“ – “Und Sie?” Überraschende Geduld, aber auch ein wenig Unwohlsein, unter den Anwesenden, dachte ich. Dieses Gefühl, wenn etwas unendlich Unschönes hätte passiert sein können. Hatte ich noch einmal überlebt? Und war von Glück zu sprechen – oder der Unterstützung eines intelligenten Systems?

Tatsächlich. Wenige Minuten später schallte die Stimme durch den Zug: “Bleiben Sie ganz ruhig. Ein Baum ist auf die Schienenführung gestürzt. Der Gutachter wird bald da sein.” Auf dem Smartphone stellte ich eine Verspätung von zwei Stunden fest. Ich stand auf und kaufte etwas im Bordbistro. Nicht immer ist das möglich, nicht überall auf der Welt gibt es eines. Ich bin froh, dass dieser kleine Ort existiert, zwischen drinnen und draußen, wo du koexistierst, sprichst oder still bist. Große Fenster, wie in einem der älteren Modelle. Worin du dich in einer anderen Zeit fühlst.

from the train window

Für einen Moment beruhigt lehnte ich mich zurück. Ich wollte nicht weiter darüber nachdenken, was hätte passierten können. Was wusste ich über Bäume? Später auf der Konferenz würden sie über Künstliche Intelligenz reden, einer würde sagen, es gäbe ein web of trees, das Waldbrände voraussagte. Und an die Wettervorhersage dachte ich, die für gewöhnlich der Mensch morgens liest. Weiter schaute ich aus dem Fenster und dem Gewitter zu. Regen lief an der Scheibe in dicken Strömen herab, durch die feuchten Fensterscheiben sahen die Felder plötzlich anders aus, zufriedener. Mit einem Blick auf mein Smartphone stellte ich fest, dass am Morgen meine Zeitung nicht angekommen war. Der Sturm wirkte ungeduldig und endlich rief ich online den Wetterbericht auf: Sturm, Wind, Blitze waren dort auch zu sehen.

Bezaubernd schnell löste das Eisenbahnunternehmen das Problem. Bezaubernd schnell ließen wir den Sturm hinter uns.

Marion Schlech, Augsburger Lehmbaugruppe, in front of a futurist construction work

Auf der Konferenz hörte ich in Vorträge vom K.I. Dilemma. Und erst verstand ich nicht recht, was das bedeutete. Natürlich kannst du über Dinge lesen, ohne sie eigentlich je zu verstehen. Wir redeten über Turing und Papageien und mir fiel ein, dass ich einmal in einem der besten Informatikkurse saß, da ging es damals um die Turingmaschine. Erneut kramte ich das Smartphone aus meiner Hosentasche. Es hatte einmal die Vorstellung gegeben, dass Künstliche Intelligenzen wie ChatGPT ähnlich wie ein Kunstwerk funktionierten. Auch wenn nicht mal ein Kunstwerk nur so funktioniert: wie etwas, das etwas anderes beschreibt, eine bloße Kopie, eine ablesende und abschreibende Maschine. Und stimmt das nicht?

ChatGPT wird gefüttert, genutzt, trainiert. Jedes Mal, wenn du online auf eine Serie von Zebrastreifen klickst, um auf eine Website zu gehen, ist das kostenlose Trainingsarbeit für die Maschine.

Die Turing-Maschine: eine simpel konkrete Metapher eines Computers, die liest und etwas anderes schreibt, die in der Übersetzung funktioniert. Nullen und Einsen. Seltsam nackte Figuren auf der Seite, vielleicht weniger reizvoll als lesbare Worte, Bedeutung.

Das, was an Computern seltsam ist, sind ihre Evidenzeffekte. Während der Code auf der “Rückseite des Bildschirms“ trocken wirkt, setzt du ihn im Front End erst so richtig in Szene. Die Teenager tanzen auf diesen intelligenten Maschinen: Da läuft ein Film, eine Musik und sie übersetzen es in eigene Bewegungen. Sie scheinen es zu genießen. Dann sind da die, die mit weit entfernten Freund:innen Computerspiele spielen. Oder solche, die gerne chatten.

In meinem Alter von 38 sehe ich die Dinge langsam etwas anders. Ich fände es schwierig, diese Menge an kleinen Briefen zu senden, hin und her zu schwirren und gleich weiter, ohne Begegnung. Vielleicht bin ich da manchmal etwas aus der Zeit geraten.

Ich schreibe weiter und schaue auf. Vor dem Fenster hat sich ein Spatz neben die Basilikumpflanze gesetzt. Er schaut ins Fenster – und verschwindet.

Die Schriftstellerin Marguerite Yourcenar hat sich vor einer lieben Weile eine stille Welt imaginiert, das war in den 80er-Jahren. Eine stille Welt, eine, die langsam ist, eine, in der jede:r immer gut gekleidet ist. In der schöne Kleidung für jede:n günstig verfügbar ist. Eine aktualisierbare Utopie, in der Autos nur selten gebraucht werden. Vielleicht findest du dieses Leben utopisch. Nur manchmal scheint es schwierig, da eine Übereinstimmung zu erreichen. So wie in der Erinnerung an unbekannte Städte. Da geht Simone Weinmann der Möglichkeit nach, zu einem bäuerlichen Leben zurückzugehen. Dieses Genre wird Dystopie genannt.

Ich hatte hinreichend viel auf der Konferenz getrunken, ich war mit genügend Zeit aufgebrochen und trotzdem und schließlich kam ich erschöpft im Waggon des Zuges an. Etwas Wasser hatte ich bei mir gehabt, war aber immer noch durstig. Ich schrieb und schrieb und versuchte, etwas zusammen zu bekommen, aber mein Kopf war nach so vielen Stunden Arbeit erschöpft. Von Wasser träumend schrieb ich einfach weiter.

Ganz evident war die Konferenz schön gewesen, und der Tag sonnig, wir trugen Sonnenbrillen und hatten spannende Gespräche im Schatten, aber als ich den Zug nach Hause nahm, war der Sturm wieder aufgekommen. In Berlin würde er schließlich so stark sein, dass ich unter Blitzgefahr nach Hause käme.

So saß ich und schrieb. So schien mich das Schreiben zu ernähren. Und dann eine Station vor dem Norden Berlins Endstation und die beiden, mit denen ich in einer Art temporärer Gemeinschaft saß, verließen den Zug. An dem Laptop der jungen Frau hatte eine Turteltaube geklebt und der Mann wirkte wie jemand, der im Wald arbeitet.

Auf dem Tisch eine halb ausgetrunkene Wasserflasche. Jemand hatte sie zurückgelassen.

Durstig verließ ich den Zug. Draußen die Blitze, drinnen in der Ringbahn-Station ein Mensch ohne festen Wohnort, der von einer Seite auf die andere trat.

Den klebrigen Pollen, der die Holzbänke übersät, kann ein Sturm wegspülen, aber was passiert mit uns? Da war ein gespenstisches Gefühl, Intuition, aber keine Vorhersage, einer Uncanny Valley. Zuhause machte ich mich ans Lesen. Und das Gefühl nahm zu.

Tatsächlich. Verletzlich.

Ich könnte weiterlesen. Oder ich könnte einfach wieder gehen. Aber wer würde dann meine Pflanzen gießen?

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